Ein Weg, der laut Gründer Nico Hribernik wie ein Gang durchs Labyrinth anmutet, in dem kleine Fehltritte in eine Sackgasse hätten führen können. Zusammen mit Healthtech-Spezialist Dr. Sven Jungmann berichtet er von Compliance-Herausforderungen, regulatorischen Hindernissen und dem, teils unfairen, Wettbewerb, der an vielen Ecken lauert.
Wir sind angesichts der zahlreichen Hürden trotzdem der Meinung, dass sich unsere Reise wirklich gelohnt hat. Natürlich für uns, insbesondere aber auch für unsere Patientinnen und Patienten. Daher haben wir uns entschlossen, einige unserer wichtigsten Erkenntnisse und Gedanken zu teilen; in der Hoffnung, dass sie anderen Gründern und Investoren helfen, sich besser in dem Dickicht zurechtzufinden, sowie andere ermutigen, den Sprung in eine Gründung zu wagen.
Die gute Nachricht ist, dass man sich, wenn man dieses beängstigende Terrain erfolgreich durchquert und es geschafft hat, in einem regulierten Markt erfolgreich zu wachsen, einen starken Vorteil gegenüber potenziellen Wettbewerbern erworben hat, den andere Märkte nicht unbedingt bieten.
1. Vorrang für Compliance
Für Gründer von Start-ups in stark regulierten Märkten ist das Einhalten der spezifischen Regularien oft eine zentrale Herausforderung, die man vielleicht auf später verschieben möchte. Eine gängige Parole von Neueinsteigern in unserer Branche lautet: "Wir sind noch zu jung für den ganzen regulatorischen Kram, der daraus resultierende Überbau würde uns nur verlangsamen, wenn nicht sogar ganz erledigen."
Für uns war vom ersten Tag an klar, dass das Einhalten von Regularien nicht zu verhandeln ist und auch nicht etwas ist, was man im Nachgang problemlos aufbauen kann. Deshalb haben wir von Beginn an viele Ressourcen, Zeit und Energie in den Aufbau einer soliden Infrastruktur investiert – was sich gleich mehrfach ausgezahlt hat. Denn es geht ja nicht nur um die bloße Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, sondern auch um den Aufbau von Vertrauen in der Branche sowie von Partnern und Patient:innen. Für uns ist die gesamte Medizinbranche der zentrale Stakeholder, den wir von unserem Ansatz überzeugen wollten - und ein starkes Engagement für die Sicherheit und das Wohlergehen der Patient:innen ist dafür unerlässlich.
Außerdem nimmt, zumindest in Europa, die Komplexität der Regularien im Laufe der Zeit eher zu. Da wir früh mit am Start waren, profitieren wir beispielsweise davon, dass wir die MDD (Medizinprodukterichtlinie) erfüllten, noch bevor die ungeliebte MDR (Medizinprodukteverordnung) in Kraft trat, was uns Flexibilität für die kommenden Jahre verleiht, bis wir mit der neuen und strengeren Verordnung arbeiten müssen.
Und schließlich ist der nachträgliche Aufbau eines regelkonformen Qualitätsmanagementsystems sehr mühsam - besser ist es, gleich zu Beginn die Grundlagen zu schaffen und dann weiterzuentwickeln.
2. Setzen Sie nicht auf regulatorische Veränderungen zu ihren Gunsten - zumindest nicht als einzige Geschäftsgrundlage
Einige Start-ups setzen darauf, dass sich wesentliche Rahmenbedingungen verändern, die ihnen dann lukrative Möglichkeiten eröffnen würden. Das ist gefährlich, denn selbst wenn der politische Wille vorhanden oder sogar die Veränderungen wirklich eintreten, ist dies ein spekulativer Bereich, der außerhalb der eigenen Kontrolle liegt. Punkt.
Richten Sie Ihren Product-Market-Fit sowie ein stabiles Geschäftsmodell daher immer am aktuellen regulatorischen Umfeld aus und betrachten Sie mögliche regulatorische Änderungen zu Ihren Gunsten nur als zusätzliche Chance. Gerade in Märkten mit einer langen Historie strenger Regularien sehen wir immer wieder, dass eine Liberalisierung oder eine Digitalisierung ein schmerzhafter und bisweilen langwieriger Prozess ist, in dem immer auch mit Rückschlägen zu rechnen ist. Man denke nur an die mittlerweile jahrzehntelangen Versuche, in Deutschland das E-Rezept einzuführen. Einige große Online-Apotheken, die ihr gesamtes Geschäftskonzept darauf aufgebaut haben, stehen angesichts der anhaltenden Verzögerungen regelmäßig kurz vor der Insolvenz. Ein weiteres Beispiel ist das sogenannte DiGA-Modell in Deutschland (erstattungsfähige digitale Therapien, die von Ärzten verordnet werden). Hier zeigt sich, dass einige Anbieter in die Insolvenz laufen, da der erstattungsfähige Preis nach der Probezeit von den Krankenkassen halbiert wurde – ein Fakt, auf den einige Start-ups ihr ganzes Geschäftsmodell ausgerichtet hatten.
3. Netzwerke schaffen und Regularien verstehen
Viele erfolgreiche Start-ups konnten sich etablieren, in dem sie out-of-the-box gedacht und agiert haben: mit disruptiven Ansätzen wurden so ganze Branchen neu aufgerollt und nachhaltig verändert – man denke nur an die Reise- und Mobilitätsbranche, die man sich heute ohne digitale Buchungen gar nicht mehr vorstellen kann. Wer an Innovationen arbeitet, überschreitet oft auch Grenzen und dringt in Bereiche vor, in denen die derzeitige Regulierung noch in den Kinderschuhen steckt oder nicht an die neuen technologischen Realitäten angepasst ist. Die Versuchung für Gründer, in diesen Bereichen auch mal rücksichtslos zu agieren, schnell zu handeln und Dinge grundsätzlich auf den Kopf zu stellen, wird durch den Reiz der eigenen Geschwindigkeit und Agilität befördert.
Diese Haltung kann in Hochrisikobranchen wie dem Gesundheitswesen jedoch fatal sein. Unsere oberste Prämisse war es daher, die Patientensicherheit an allererste Stelle zu setzen und die derzeit bewährten Verfahren konsequent zu verstehen, bevor man versucht, sie zu modifizieren. Jeder liebt es, über den Tellerrand hinauszuschauen, aber bevor man aus dem Rahmen ausbrechen kann, muss man ihn eben erst einmal in letzter Konsequenz auch begriffen haben.
Pflegen Sie also enge Beziehungen zu einflussreichen Brancheninsidern, die Ihnen helfen können zu verstehen, welche Grenzen sinnvoll sind und welche man sinnvollerweise zu einem Vorteil vieler durchbrechen sollte, oder eben nicht, falls eben kein Netzwerkeffekt für mehr als nur sich selbst geschaffen werden kann.
4. Selbstregulierung
Eine Möglichkeit neues Terrain sicher zu erkunden, ist die Einrichtung eines Organs zur Selbstregulierung, wie in unserem Fall eines eigenen Medical Boards. Die Integration von Fach- und Regulierungsexperten, neben Geschäfts- und IT-Kennern, etabliert Branchen- und Insiderwissen im eigenen Unternehmen. Bei der Zusammensetzung des Beirats haben wir darauf geachtet, dass er von seiner Struktur und seinem Mandat bis hin zur Wahl des Vorstands komplett unabhängig agieren kann, um seine Potenziale bestmöglichen entfalten zu können.[MB2]
Ein gut zusammengesetzter Beirat mit seinen weitreichenden beruflichen Netzwerken und Erfahrungen hilft außerdem beim Aufbau strategischer Partnerschaften und ermöglicht ganz neue Perspektiven auf Geschäftsabläufe und Herausforderungen. Er erschließt Einblicke in das sich ständig weiterentwickelnde Ökosystem, einschließlich aktueller Themen und Debatten, regulatorischer Veränderungen, Markttrends sowie technologischer und wissenschaftlicher Fortschritte.
Um die Potenziale eines medizinischen Beirats auszuschöpfen, sind Transparenz und eine Unternehmenskultur für ehrliches Feedback von entscheidender Bedeutung. Die Rolle des Beirats sollte sich niemals darauf beschränken, Beifall zu spenden, im Gegenteil: kritische Perspektiven stärken das Geschäftsmodells signifikant.
5. Rechtskosten einplanen
Eine wichtige Erkenntnis aus unserer Historie ist, dass Sie auch mit unvorhersehbaren Rechtskosten rechnen müssen. Das Bereitstellen eines ausreichenden Budgets für diese Kosten ist ein Muss und nicht optional, und sollte von Anfang an immer Teil der wirtschaftlichen Konstenrechnung sein. Vielleicht sind Sie sich dessen heute noch nicht bewusst, aber es gibt große, etablierte Marktteilnehmer, die stets darauf bedacht sind, das Wachstum aufstrebender Konkurrenten und manchmal gar die Digitalisierung an sich mit rechtlichen Mitteln zu bremsen.
Für uns hat es sich bewährt, ein solides und kumulierendes Monatsbudget als Bollwerk gegen unerwartete rechtliche Anfechtungen beiseite zu legen, das für Gutachten, Gerichtsverfahren usw. benötigt wird. Es reicht nicht aus, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen, denn man wird ja nicht nur direkt als Unternehmen infrage gestellt, sondern das ganze Geschäftsmodell. Daher wird eine ausreichende Budgetierung der Rechtskosten zu einem strategischen Instrument für die Verteidigung Ihrer Tätigkeit innerhalb des regulierten Rahmens.
In Zeiten, in denen es juristisch ruhig ist, ist es verlockend, die rechtlichen Sicherheitsvorkehrungen zu reduzieren. Jedoch: Es liegt in der Natur dieser rechtlichen Auseinandersetzungen, dass sie nicht vorhersehbar sind, sondern unerwartet auftreten. Daher ist die Aufrechterhaltung eines soliden Budgets für Rechtsfragen ein Akt umsichtiger Voraussicht, eine Schutzmaßnahme, die den Unterschied ausmachen kann, ob man einem plötzlichen Rechtsstreit standhält oder von ihm überrollt wird. Und selbst mit einer gut gefüllten Kasse werden die Ablenkung und der emotionale Stress wahrscheinlich beträchtlich sein.
6. Frühzeitig in Evidenz investieren
Investitionen in Studien und Forschung haben sich für uns schnell ausgezahlt: So haben wir beispielsweise eigene Daten im International Journal of Sexual Medicine veröffentlicht, die eine Analyse von 11 456 männlichen Patienten umfassten, die über Wellster Verschreibungen erhalten hatten. Die von Fachleuten begutachtete Studie kam zu dem Schluss, dass wir den Zugang der Patienten zur medizinischen Versorgung verbessern konnten. Die meisten dieser Patienten wohnten in ländlichen Gebieten, wo der Zugang zu Gesundheitsdiensten besonders schwierig sein kann, und suchten außerhalb der üblichen Sprechzeiten nach Verschreibungen. Als Hauptgründe für die Inanspruchnahme unserer Dienste wurden Unannehmlichkeiten, Scham und mangelnde Diskretion genannt, was bestätigt, dass unser Modell kritische Lücken in den traditionellen Versorgungssystemen schließt. Wir haben ähnliche Untersuchungen in anderen Bereichen veröffentlicht, z. B. in der Dermatologie.
So bedeutsam diese Forschungsergebnisse für unser Geschäftsmodell waren, so wichtig erwiesen sie sich auch, als Kritiker auftauchten, die die Gültigkeit unseres Versorgungsmodells in Frage stellten. Umgehend konnten wir mit unseren veröffentlichten Daten die Vorteile der asynchronen Telemedizin aufzeigen. Sie machten deutlich, dass wir nicht nur das bestehende System ergänzen, sondern auch eine Lösung für Bereiche boten, in denen es Defizite gab. Während diejenigen, die uns herausforderten, keine Daten zur Untermauerung ihrer Behauptungen vorweisen konnten, hatten wir nicht nur Worte, sondern eine international anerkannte Publikation, die uns untermauerte.
Schlussfolgerung
Die Einhaltung der Vorschriften ist kein Hindernis, im Gegenteil: es ist die Grundlage für den Aufbau von Glaubwürdigkeit und Vertrauen, die für die Kommunikation mit allen relevanten Stakeholdern elementar sind. Dabei befindenden sich Unternehmer auf einer kontinuierlichen Reise, die künftige Entwicklungen konstant im Blick hat und ihnen im besten Fall immer einen Schritt voraus ist. Es zahlt sich nachhaltig aus, sukzessive in die eigene Infrastruktur zu investieren und proaktiv zu agieren, um sämtliche Regularien kontinuierlich bedienen zu können.
Für Unternehmer, die bereit sind, sich auf stark regulierte Märkte einzulassen, ist die Reise sicherlich anspruchsvoll, aber der Lohn ist die Mühe wert. Mit einer strategischen Denkweise, Beharrlichkeit und der Bereitschaft, sich auf die Komplexität des regulatorischen Umfelds einzulassen, kann man nicht nur überleben, sondern auch erfolgreich sein. Diese Geschichte ist auch ein Beweis für die transformative Kraft des innovativen Unternehmertums in regulierten Märkten. Denken Sie daran, dass es auf der Reise nicht darum geht, das Labyrinth zu umgehen, sondern zu lernen, wie man es durchquert und beherrscht. Diejenigen, die es wagen, das Labyrinth zu betreten, können durchaus zu den Marktführern der Branche aufsteigen. Seien Sie mutig, wagen Sie den Sprung, und verwandeln Sie die komplexen gesellschaftlichen Probleme von heute in die innovativen Lösungen von morgen.
Nico Hribernik ist Mitbegründer und CEO von Wellster Healthtech. Dr. Sven Jungmann ist Mitbegründer und CEO von Halitus und sitzt im Beratergremium von Wellster.